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Geschichte

Kleine Geschichte unserer Schul-Bildung im Kaiserreich

Im selben Jahr, in dem in Heilbronn die bisher private Höhere Töchterschule in die öffentliche, die städtische Höhere Mädchenschule umgewandelt und damit zur Keimzelle unseres „Elly“ wurde, im Jahr 1879, ließ August Bebel in Leipzig seine emanzipatorische Studie „Die Frau und der Sozialismus“ erscheinen – illegal, wegen der Bismarckschen Sozialistengesetze. Keine der zu jener Zeit 259 Schülerinnen wird Bebels Streitschrift gegen die Vorurteile, die einer Gleichbehandlung und Gleichberechtigung der Frauen im Wege standen, gelesen haben; in der Schule nicht, denn Bebel war verboten, und privat nicht, denn die jungen Damen stammten durchweg aus ‚bürgerlichen’ Familien, in denen der Sozi Bebel – nun, ebenfalls verboten war. Dennoch wurden die Mädchen nach Prinzipien unterrichtet, die als modern galten und die sich gegen das bisher Selbstverständliche mühsam hatten durchsetzen müssen.

„Die einen verlangten für die Mädchen dieselbe Bildung wie für die Knaben (…) Ganz im Gegensatz dazu behaupteten die anderen, die zartere Constitution des Mädchens, seine andersartige, wenn nicht gar geringere Begabung verbiete es, dieselben Forderungen an das Mädchen zu stellen, wie an den Knaben; auch sei ein praktisches Bedürfniß einer solch gründlichen Ausbildung nicht vorhanden.“

Durchgesetzt hat sich im Königreich Württemberg, also auch an unserer Schule, ein Kompromiss. Julius Desselberger, langjähriger Rektor der Mädchenschule, beschreibt in seinem Festvortrag anlässlich des Bezugs des neuen Schulgebäudes an der Ecke Turm- und Gartenstraße im Jahre 1886 die Bildungsziele so:

„Endlich ist unsere Zeit mit der Vergangenheit zwar eins in der hohen Wertschätzung des weiblichen Geschlechts, aber mit Recht begnügt sie sich nicht mehr damit, diese Wertschätzung nur obenhin in verbindlichen Reden und gehaltlosen Artigkeiten auszudrücken, woneben oft eine geringschätzige und sogar rohe Behandlung hergehen kann. Auch genügt es ihr nicht, wenn von den einen die Frauen nur wegen der Besorgung der alltäglichen häuslichen Geschäfte geschätzt, oder wenn sie von den andern als Zierde und Schmuck des Hauses gehätschelt und bewundert, in Wirklichkeit aber doch eben wie Blumen und Zierraten als etwas Nebensächliches angesehen werden. Vielmehr hält man es heutzutage für billig, ja für geboten, wenn dem weiblichen Geschlecht Gelegenheit gegeben wird, alle die eigenartigen Anlagen seiner Natur ganz und voll zur Entfaltung zu bringen und sie für sich und andere zu verwerten. Aus diesen Ursachen sind jene Bestrebungen hervorgegangen, welche den Zweck haben, den Frauen der gebildeten Stände die ihnen unter den jetzigen Verhältnissen zukommende Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen und damit die sogen. Frauenfrage zu lösen. Als eine der bedeutungsvollsten Unternehmungen, welche zu einer gesunden Lösung der Frauenfrage beitragen wollen, ist auch die Gründung der höheren Mädchenschulen aufzufassen.“

Es ist geradezu rührend zu sehen, wie der hochgebildete Rektor Desselberger sich als Vorkämpfer für die gesunde Lösung der Frauenfrage wähnt, indem er dazu beiträgt, den Töchtern der besseren Gesellschaft die ihnen zukommende gesellschaftliche Stellung zu verschaffen.

Zu dieser Zeit war für die allermeisten Absolventinnen der höheren Mädchenschule der Bildungs- und Ausbildungsweg zu Ende, denn der Abschluss nach der neunten Klasse berechtigte nicht zum Wechsel auf ein Gymnasium oder auf eine andere weiterführende Schule. Es gab nur wenige Möglichkeiten für junge Frauen, sich aus den ihnen vorgezeichneten Bahnen zu lösen und ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen; der am häufigsten gewählte Weg hierzu war der Besuch eines Lehrerinnenseminars. Wie einseitig die Schulbildung auf die „Entwicklung einer harmonischen (weiblichen) Persönlichkeit“, wie wenig sie auf die Vermittlung von (v.a. naturwissenschaftlichem) Wissen ausgerichtet war, mag folgende Stundentafel aus dem Schuljahr 1883 – 1884 zeigen:

Allein das Fach Weibliche Arbeiten wurde in „Summa“ mit 33 Stunden unterrichtet, während die Fächer Geschichte, Geographie, Naturgeschichte und Physik zusammen lediglich auf 28 Stunden kamen. Der Unterrichtsschwerpunkt jedoch lag ganz eindeutig auf Deutsch und auf der Sprache der gebildeten Gesellschaft: Französisch.

Während also in der Heilbronner höheren Mädchenschule an der Vervollkommnung der weiblichen Persönlichkeit gearbeitet wurde, gründete in Berlin die im Revolutionsjahr 1848 geborene Helene Lange, selbst Lehrerin und dann Führerin der deutschen Frauenbewegung und des „Allgemeinen deutschen Lehrerinnenvereins“, die „Realkurse für Frauen“ (1889), die sie selbst auch leitete. Das Ziel war, Frauen den Zugang zu den Universitäten zu verschaffen, das Mittel dazu war eine Ausweitung des Lehrplans. Latein, höhere Mathematik, die Naturwissenschaften und Volkswirtschaftslehre wurden in den „Realkursen“ gelehrt; es war der erste folgenreiche Schritt auf dem Weg zur bildungspolitischen Gleichbehandlung von Mädchen und Jungen. Am schnellsten verstand man die Zeichen der Zeit im Großherzogtum Baden: Ab 1900 erhielten die Frauen hier das uneingeschränkte Recht zum Hochschulstudium und die ersten Frauen schrieben sich an den Universitäten Heidelberg und Freiburg ein, nachdem bereits in den 1890er Jahren die „höheren Mädchen“ zu den Abschlussklassen der „höheren Knaben“ – Schulen zugelassen worden waren. – Im Königreich Württemberg ging man behutsamer zu Werke, aber im Jahre 1903 wurden die Mädchenschulen immerhin als gleichberechtigte höhere Lehranstalten anerkannt und es wurde ein neuer Lehrplan erstellt: Eine zehnte Klasse wurde eingeführt und der Unterricht in Mathematik und in den Naturwissenschaften wurde erweitert. Jedoch lag der Schwerpunkt des Unterrichts auch an der Heilbronner Mädchen-schule weiterhin im sprachlichen Bereich.

Die zeitlichen Abstände der Reformen der Mädchenschulbildung wurden kürzer: Im Jahre 1907 wurde eine Abgangsprüfung an den höheren Mädchenschulen eingeführt und 1909 konnten in Württemberg, also auch an unserer Schule, die erfolgreichen Absolventinnen der Abgangsprüfungen die Oberklassen der höheren Knabenschulen und mithin danach die Universität besuchen.

In der Schulordnung des Jahres 1881 hatte es noch geheißen: Schülerinnen, welche die IX. Klasse (das war zu jener Zeit die Abgangsklasse!) zum zweiten Mal besuchen, müssen mindestens an 5 Stunden wöchentlich (!) sich betheiligen …

Im Jahre 1914 wurden die Lehrpläne der höheren Mädchenschulen mit denen der „Realschulen“ in Einklang gebracht und unser heutiges „Elly“ wurde zur „Mädchenrealschule“ – und damit zu einer Bildungsstätte, die die Vermittlung von ‚realen’, d.h. von nützlichen und verwertbaren Kenntnissen in ihr Programm geschrieben hatte, auch wenn das Fach Deutsch weiterhin dominierte. Nun waren alle Wege offen: Aus der „Mädchenrealschule“ konnte eine „Mädchenoberrealschule“ werden, eine Vollanstalt, deren Abschluss dann zum Universitätsstudium berechtigte. Aber es kam der Krieg und mit ihm der vorläufige Stillstand der Schulentwicklung.

Voller Hochachtung sei an dieser Stelle des Rektors Julius Desselberger gedacht, der mehr als vierzig Jahre lang unsere Schule geleitet hat, der sie verwandelt hat und sie sich hat verwandeln sehen von einem Institut für höhere Töchter in eine höhere Mädchenschule, dann in eine Mädchenrealschule; der die Geschichte unserer Schule zu seiner Zeit aufgeschrieben hat, so dass wir uns auch heute noch ein Bild machen können vom Anfang des langen und spannenden Weges unseres „Elly“!