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Ex-Neonazi Philip Schlaffer am Elly

Auf Vermittlung der FDP-nahen Reinhold-Maier-Stiftung war am 14.2.2023 vor 70 SchülerInnen der zwölften Jahrgangsstufe der ehemalige Neonazi Philip Schlaffer zu Gast. Was hat dazu geführt, dass nach der Veranstaltung der 18-jährige Jonas Böhrer bemerkte: „Philip hat es geschafft, auf Dauer in unseren Köpfen zu bleiben.“ 
Vielleicht zunächst einmal dadurch, dass er mit den Vorurteilen und Erwartungen der harmoniesüchtigen Gymnasialwelt spielt. „Der Vater arbeitsloser Alkoholiker, Mutter depressiv, Betonwüste, Bildungsferne. So wurde ich mit 16 Neonazi. Richtig?“ Als die Elly-Schüler nicken wollen, sagt der 1978 in Lübeck geborene gelernte Großhandelskaufmann: „Nee, das war ganz anders. Und davon erzähle ich euch jetzt.“ 

Und dann spricht der Norddeutsche von seinen akademisch gebildeten Eltern, seinem Leben als junger HSV-Fan aus der reichen Lübecker Vorstadtgemeinde Stoppelsdorf, zu dem die folgenden Sätze so gar nicht zu passen scheinen: „Nazis packen Menschen in Schubladen. Rassismus und Nationalismus, darauf kannst du dich immer beziehen, auch wenn sonst nix läuft. Überall auf der Welt gibt es heute Neonazis. Und ich war Täter, nicht Opfer.“  

„Am 8.8.1988, ein Traumdatum für zahlensymbolisch bewanderte Neonazis, sind wir nach England gezogen – und dort habe ich zum ersten Mal Einsamkeit erlebt.“ Doch der Zehnjährige kämpft sich durch, spricht bald Englisch besser als Deutsch, will dazugehören, gehört dazu, und wird „englischer als jeder Engländer“. Sein Absturz beginnt, als 1992 Philips Eltern beschließen, nach Deutschland zurückzukehren. Alte Freunde lehnen ihn ab, Probleme in der Schule, offene Rebellion gegen Eltern und die schulisch und beruflich erfolgreiche ältere Schwester. „Ich will nie wieder einsam sein“, schwört er sich nach Abschulung an die Realschule. „Ich war wütend, und auf dem Pausenhof fand ich andere, die auch wütend waren. Mit 16 haben wir uns gegenseitig radikalisiert.“ Gewalt folgt in der Schule, Gewalt zu Hause, Feindbilder werden der Nazimusik entnommen. „Und ich habe gehasst, Juden und Muslime, obwohl ich doch gar keine kannte.“ Mit 17 wird er zum ersten Mal niedergestochen, denn: „Gewalttäter ziehen sich an wie Magneten.“ Mit 18 die erste Verurteilung, die erste Kalashnikov, dreimal vom SEK verhaftet.  

Und wieder spielt Philip Schlaffer mit den Erwartungen der angehenden Abiturienten. „Mit 20 dann die erste Liebe. Und jetzt: kochen statt prügeln, das Mädchen, eine Ausländerin, endlich mein Ausstieg. Richtig?“ Wieder Nicken, doch Philips „Perle“ ist selber Neonazi. Es folgt ein Umzug nach Wismar, wo er 2008 die „Kameradschaft Werwolf“ gründet, einen boomenden Nazi-Versandhandel aufbaut, über 25 polizeiliche Hausdurchsuchungen erlebt – und trotzdem mit seinen Gesinnungsgenossen eine ganze Stadt terrorisiert. Auch zwei harte Schläge führen ihn nicht in die bürgerliche Welt zurück. Zunächst wird er von anderen Neonazis überfallen und beraubt, dann quälen Mitglieder seiner Kameradschaft einen Wehrlosen zu Tode, nachdem Philip eine Silvesterfeier verlassen hat. „Das war meine Kameradschaft“, sagt er kopfschüttelnd. „Aber diese Brutalität ist eben Rechtsextremismus in seiner Reinform.“ 

Es folgt nun der bewusste Weg in die organisierte Kriminalität als Chef einer Motorradrocker-Gang. „Geld, Macht, Immobilien. Ich war stark und musste immer stark sein.“ Doch mit Mitte 30 spielt sein Körper nicht mehr mit, Gangster-Burnout, wahnsinnige Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit. „Wenn du erst mal das Denken anfängst, in den Spiegel schaust und sagst: Das bin doch gar nicht ich“, dann sei das der entscheidende Schritt aus dem Milieu heraus. Philip Schlaffer nimmt wieder Kontakt zu seiner Familie auf, söhnt sich mit seinen Opfern aus, redet viel mit Psychologen, mit Geistlichen. Und der Hass verschwindet. 

Schlaffer hat nach seinem Ausstieg aus der Neonaziszene eine Ausbildung als Anti-Gewalt- und Deradikalisierungstrainer beim Berliner Violence Prevention Network durchlaufen und setzt sich heute unter anderem im Rahmen von Schulbesuchen gegen den Rechtsextremismus ein, versucht, junge Neonazis aus der Szene zu holen und Wege zurück aufzuzeigen. 2020 wurde Schlaffers Autobiographie Hass. Macht. Gewalt. im Droemer Knaur Verlag veröffentlicht und war in der ersten Woche auf Platz 16 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch (Paperback). Heute betreibt er als Webvideoproduzent einen YouTube-Kanal, auf dem er über seine Vergangenheit berichtet. Außerdem ist Schlaffer mit einem eigenen Kanal auf Twitch aktiv.  

„Passt auf, dass ihr euch nicht im Hass verliert!“, ruft er den angehenden Abiturienten am Ende zu. „Hass einzupflanzen, ist nicht schwer.“  Begeistert dann das Echo der Schüler, von denen viele Philips Angebot, auch in Zukunft Kontakt zu halten, annehmen wollen. „Er hat uns sensibilisiert und in machen Punkten die Augen geöffnet“, bemerkt der 17-jährige Jan Kiesel. Und dem ist nichts mehr hinzuzufügen.


Christoph Zänglein