Am 13.3.2023 stellte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Stephan Krawczyk vor 300 Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 9 - 12 sein Programm „Mein bester Freund wohnt auf der anderen Seite“ vor, eine faszinierende Mischung aus Songs, Anekdoten und einer Lesung aus einer autobiographisch gefärbten Erzählung um einen jungen West-Berliner, der am Beispiel seines Freundes in der DDR erlebt, was Stasi-Überwachung bedeutet.
Kein Laut ist von den jugendlichen Zuhörern zu vernehmen, wenn der Künstler am Beispiel seines Protagonisten Antworten auf die Fragen gibt: Wie war es, unter dem Regime der SED die eigene, an die Parteilinie unangepasste Meinung frei zu vertreten? Welche Konsequenzen hatte das für ihn als Künstler? Warum ist er letztendlich doch in den Westen ausgewandert?
Stephan Krawczyk berichtet in seinem Vortrag vor allem aus seiner eigenen Biografie. Die Gitarre, die er zu seinem fünfzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hat und deren Spiel er sich autodidaktisch erarbeitete, ist Auslöser für seinen Wunsch, Musiker zu werden. Als Jugendlicher und junger Erwachsener lässt er sich zunächst von den Angeboten und Programmen der SED mittragen: Nach seinem Abitur und dem Wehrdienst tritt er in die Partei ein, studiert Musik und spielt in einer Folk-Gruppe. Beim DDR-Chansonwettbewerb gewinnt er 1981 den Hauptpreis und wird für „hervorragende künstlerische Leistungen“ geehrt – eine Anerkennung, die ihn quasi zum „Staatskünstler“ macht. Doch der Ruhm währt nicht lange. Als Krawczyk vier Jahre später aus der Partei austritt, erhält wegen seiner kritischen Texte Berufsverbot. Was folgt, macht „sein Leben zur Hölle“, wie er selbst sagt: Überwachung seiner Person und seiner Familie, Lauschangriffe in seiner Wohnung, Boykott seiner beruflichen Möglichkeiten, ein Gift-Anschlag, unter dessen Folgen seine damalige Frau Freya Klier bis heute noch leidet, und schließlich seine Inhaftierung im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen und schließlich seine Ausbürgerung. Krawczyk verlässt mit seiner Frau desillusioniert und resigniert die DDR, um nun im Westen mit ungebrochenem Mut und Biss weiter mit seiner Musik kritische Fragen zu stellen. Bis heute ist er Liedermacher, Autor und Schauspieler und gewinnt mit seiner Musik zahlreiche Preise – die Gitarre und ein über einhundert Jahre altes Bandoneon immer im Gepäck.
Krawczyks Vortrag ist packend, weil er von seiner absoluten Authentizität lebt und damit die Schülerinnen und Schüler überzeugt. Gespickt ist sein Programm mit Kostproben seiner musikalischen Kompositionen wie dem eingängigen Liebeslied zwischen einem Hund und einer Henne oder dem vor Sarkasmus triefenden Brecht-Song „Der Speichellecker“. Den Abschluss bildet Krawczyks Erzählung „Mein Freund wohnt auf der anderen Seite“, in der sich die beiden Jugendlichen Simon aus West-Berlin und Ronald aus dem Ostteil der Stadt während eines Klassenausflugs auf der Plattform des Berliner Fernsehturms kennenlernen und über das Interesse an derselben Musik anfreunden. Ronalds Vater ist Genosse und Mitarbeiter des Magistrats von Berlin, Hauptstadt der DDR, Simons Vater ist Handwerker in Berlin-Kreuzberg. Wegen seines Vaters darf Ronald keine Westkontakte haben. Trotzdem schreibt er Briefe an Simon, trifft sich heimlich mit ihm in Ost- Berlin. Es hat Konsequenzen für beide. „Erst jetzt empfinde ich die Stadt als geteilt“, sagt Simon, „weil ich einen Freund auf der anderen Seite hatte. Vorher wusste ich nur, dass es so ist." Ronald antwortet: „Die wollen von mir, dass ich dich aushorche." Weil er sich weigert, verstößt ihn sein Vater, er gilt als Staatsfeind und flieht letztendlich aus der DDR.
„Nobody’s gonna get me to another rap - einen eigenen Ton müsst ihr finden“, ruft Krawczyk den Schülerinnen und Schülern im Publikum zu und zitiert damit eine Zeile aus einem ACDC-Song, die in der Erzählung um Simon und Ronald eine zentrale Rolle spielt. Etwas Eigenes tun, unkonventionell sein, Aufmerksamkeit auf sich ziehen und sich nicht den Mund verbieten lassen – das sei wichtig und eine Versicherung dagegen, sich von Ideologien verführen zu lassen.
Stephan Krawczyk, 1955 im thüringischen Weida geboren, lebt in Berlin und arbeitet als Autor, Schauspieler und Sänger, spricht als Zeitzeuge über sein Leben im Zwangsstaat DDR und stellt u.a. sein Programm „Mein Freund wohnt auf der anderen Seite“ an Schulen vor.
Alexandra Lumpp